„Outside mit ...“ – so heißt unsere neue Serie, die wir im INSIDE Spezial Küche gestartet haben. Wir werden in Zukunft öfter mit den Machern im Möbel- und Küchenmarkt für andere Geschichten zusammenkommen. Persönliche Porträts sollen entstehen, in einem etwas anderen Umfeld. Zum Auftakt war INSIDE-Chefredakteur Simon Feldmer mit Bora-Gründer Willi Bruckbauer mit dem Rennrad zwischen Raubling, Chiemsee und Eggstätter Seenplatte unterwegs – knapp 70 Kilometer durchs bayerische Hügelland in der Juliabendsonne, mit einem 33er Schnitt, einem Foto-Reporter-Job im Nacken und einigen Fragen.
„Ich bin gleich so weit“, sagt Willi Bruckbauer. Es ist Punkt 17 Uhr, an einem Donnerstag Ende Juli. Wir treffen uns vor der Bora-Zentrale in Raubling. Auf dem Parkplatz. Der Outsider hat sich schon umgezogen – und ist ausnahmsweise ins Bora-Hansgrohe-Trikot geschlüpft. Kleiner Gag an diesem Abend. Vielleicht setzt das Trikot, mit dem die Profis von Bruckbauers Rennstall auf dem Giro, auf der Vuelta oder der Tour de France in die Pedale treten, ja zusätzliche Kräfte frei. Bruckbauer winkt und geht in Jeans und T-Shirt ins Bora-Parkhaus. Und kommt fünf Minuten später auf dem Rennrad zurück. „Sagen wir Du, oder?“, sagt Bruckbauer. „Wir duzen uns alle hier in der Firma.“ Man möchte ergänzen: Bruckbauer ist schnell beim Du. Bayerisch direkt. Das Du hat hier auch erstmal nichts mit besonderer oder freundschaftlicher Nähe zu tun. Das Bruckbauer-Du ist einfach praktischer, direkter, schneller. Mit einem förmlichen „Sie“ radelt es sich auch schlecht. Auf geht’s. Bruckbauer und Feldmer – das ist zumindest auf dem Papier in diesem Jahr so ungefähr eine Radl-Liga. Beide stehen Ende Juli bei über 5.000 gefahrenen Kilometern in 2021. Das ist aber auch schon alles an Gemeinsamkeiten auf dem Rennrad.___STEADY_PAYWALL___
Der Radl-Reporter verzichtet an dieser Stelle auf die Aufzählung seiner bescheidenen sportlichen Triumphe in seinem Leben. Ist eher so der Typ ambitionierter Hobbysportler ohne Megatalent in genau einer Disziplin. Aber Spaß macht‘s. Seit ein paar Jahren auch das Rennradfahren. Bruckbauer radelt in einer anderen Liga. Eigentlich muss der Satz hier gar nicht hingeschrieben werden. Denn der Hauptsponsor des Radrennstalls Bora-Hansgrohe könnte auch mit Mitte 50 fast selbst in seinem Team mitfahren. Beim Training ist er manchmal dabei. Und groß warten muss auf ihn dann auch keiner. Das war für den Outsider zumindest dann auch die Herausforderung an diesem Abend. Unbedingt vermeiden, dass Bruckbauer auf dem Radl sich langweilt. Es gibt ja kaum Nervigeres, als Leute, die mit einem Sport machen wollen und einen nur aufhalten – zum Beispiel beim Tennis keinen Ball treffen oder im Urlaub unbedingt Volleyball spielen wollen, aber am Ende immer einen Knoten in den Armen haben. Nein. Zumindest offensichtlich langweilen darf Bruckbauer sich an diesem Abend nicht. Wir starten. Die gemeinsame Rennrad-Ausfahrt war dann, das muss man so sagen, auch nicht als Wettrennen angelegt. Wir wollten ja auch quatschen. Und der Outsider wollte auch bisschen genießen. So oft fährt man auch nicht mit einem Sportkameraden Rennrad, der eigentlich selbst mal Radprofi war, der früher 130 Renntage im Jahr gefahren ist, der seinen Aufnahmeantrag im Bund Deutscher Radfahrer gestellt hatte, der dann bei einer Rundfahrt auf Sizilien zum zweiten Mal im eigentlich entscheidenden Jahr seiner Rennfahrer-Karriere schwer gestürzt ist – und seinen Traum Radprofi mit 26 Jahren aufgeben musste. Küchenpsychologisch betrachtet kann man es vielleicht so am besten sagen: Radprofi war der große Traum des Raublinger Schreiner-Sohns Willi Bruckbauer. Er war knapp davor. War ein Sprinter vor dem Herrn. Mit seinem Ehrgeiz musste der Chiemgauer irgendwohin. Und er erfand Bora.
Bruckbauer pflügte ein wichtiges Segment in einem von vielen kleinen Spezialisten und großen Megakonzernen geprägten Küchen- und Hausgeräte-Markt im vergangenen Jahrzehnt wahrscheinlich auch nur deshalb so um, weil Bruckbauer sich mit Mitte 20 von seinem ersten großen Lebenstraum verabschieden musste. Ja, er musste mit seinem Ehrgeiz irgendwohin. Und er war erfinderisch. Lebensmotto: Nur weil die anderen sagen, es geht nicht, geht es noch lange nicht nicht. Und wenn man mit Bruckbauer Rad fährt und sieht, mit welcher Energie er in die Pedale tritt, dann versteht man auch, dass der zweite Lebenstraum eigentlich auch nicht scheitern konnte.
Wir bleiben kurz stehen. Nur fünf Kilometer vom Bora-Sitz in Raubling befindet sich die Versorgungs- und Logistik- Zentrale des Teams Bora Hansgrohe. Bruckbauer hat keinen Schlüssel für die Halle dabei. Aber man kann sich vorstellen, wie viele Paletten mit Energieriegeln, Trinkflaschen, Ersatzteilen hier drinliegen. „Unfassbare Mengen“, sagt Bruckbauer vor der Halle: Teambusse, Bullis, Begleitfahrzeuge. Es gehört einiges dazu, um ein Spitzenteam auf die Straße zu schicken. Das Bora-Team fährt im Jahr mehr Rennen, als das Jahr Tage hat. An manchen Tagen fährt Team A in Italien, Team B in Osteuropa – und der Rest der Profiradler, die unter Vertrag sind, trainiert. Während wir Richtung Samerberg fahren, erzählt Bruckbauer vom schweren Unfall, den viele Teammitglieder im Frühjahr am Gardasee hatten. Eine Autofahrerin fuhr direkt in die Trainingsgruppe. Bruckbauer war dabei, hatte Glück. Weniger Glück hatte zum Beispiel Anton Palzer, einer der Bora-Fahrer, die den mitradelnden Outsider immer schwer beeindrucken. Ein Typ, den es nicht zwei Mal gibt. Palzer war als Skibergsteiger und Trailrunner einer der weltweit Besten, hat so ungefähr alle Berge von Kampenwand bis Wendelstein in Rekordzeit bestiegen, umrundet – und ist sie vielleicht auch noch rückwärts raufgelaufen. So genau weiß das keiner. Ein Ausdauerwahnsinniger. Dann hatte Palzer, Jahrgang 1993, gebürtig in Berchtesgaden, einfach mal das Rennrad ausprobiert. Und sorgte schnell für Schlagzeilen. Seine Schwellenleistung liegt bei 370 Watt. Normalerweise treten fitte Rennradfahrer so mit 100 Watt in die Pedale. Bruckbauer erzählt vom noch neuen Teammitglied mit Respekt. Den Anruf des Bora-Teamchefs hatte Palzer einst erst gar nicht beachtet. Dann hat es doch noch geklappt. Bruckbauer muss bei der Geschichte lachen. Und Palzer war auf der Vuelta in diesem Sommer dann auch wieder dabei. Bruckbauer, das spürt man, liebt Sportler wie Palzer. Er ist selbst ein bisschen so einer. Gnadenlos zum Gegner, gnadenlos zu sich selbst.
Rund 10.000 Kilometer fährt Bruckbauer im Jahr noch heute Rennrad. Einmal unter der Woche, zwei lange Touren am Wochenende. Mehr passt nicht in den Kalender. Ist aber ja auch ein bisschen was. Bei Bruckbauer hat man das Gefühl, dass er sich fast entschuldigt, dass er nicht mehr Kilometer im Jahr zusammenbekommt. Andere Liga eben. Drei Kinder hat Bruckbauer auch noch. Die Älteste ist 26 Jahre alt. Der Bora-Gründer will keines seiner Kinder drängen, sagt er. Für ihn steht aber fest: „Bora soll, wenn es irgendwie geht, immer ein Familienunternehmen bleiben.“ Und irgendwie hofft er schon, dass eines der Kinder die Firma mal weitermacht. Verkaufen muss Bruckbauer nicht. Geld verdient hat er genug. Und man hat bei ihm auch nicht das Gefühl, dass er Bora irgendwann mal gegründet hat, um richtig viel zu verdienen. Er wollte was reißen. Wir sind mittlerweile einige Kilometer am Chiemsee entlanggefahren, auf kleinen Landstraßen, auf Radlwegen. Rauf und runter. Nie große Steigungen, aber eben viele kleine.
Bruckbauer ist immer mit Druck am Treten, fährt auch in engen Passagen hohes Risiko. Ob er irgendwann mal das Gefühl hatte, die ganze Expansion, der rasante Bora-Weg, der Bruckbauer und sein Team immer wieder riskante und teure Entscheidungen treffen ließ, zum Beispiel das Investment in den neuen Backofen, das alles könnte ihn persönlich mal überfordern? Oder die Firma auch finanziell? Die X-Bo-Entwicklung kostet Bora alleine so viel wie der Bau einer neuen Firmenzentrale. So richtig viel mag der Bora-Chef dazu nicht sagen. „Wir haben alles im Griff“, sagt er. Ganz am Anfang hätte es ein paar kritische Momente gegeben, sagt er dann noch. In den vergangenen Jahren offenbar dann nicht mehr. Auch wenn Miele, Siemens, Bosch mit ihrer Offensive im Muldenlüfter-Markt, die im zweiten Anlauf so eingeschlagen hat, Bora sicher weh tun. Bruckbauer widerspricht vehement, wenn man daraus schließt, das hätte Bora auch mächtig Umsatz gekostet. In der Bora-Lesart hat die Offensive des Wettbewerbs auch die Bora-Idee im Markt nur weiter fest verankert.
Wie auch immer. Wir steuern gerade direkt rein nach Neubeuern, die Trinkflaschen sind leer. Im Garten eines Einfamilienhauses steht ein Freund von Bruckbauer und ruft freundlich Servus. „Der beste Metzger in Neubeuern“, sagt Bruckbauer. „Gibt ja nur einen“, sagt Metzger Rupert Schneebichler und grinst. Wir füllen die Trinkflaschen. Schneebichler hat gerade seine Küche renoviert. Natürlich hat er ein neues Bora-Gerät eingebaut – und führt es einem vor. Schneebichler ist natürlich Bora-Fan. Unter Spezln kein Wunder, in den bayerischen Bergen, wo sie gerne ihre Köpfe zusammenstecken, nochmal weniger. Im Fachhändlerlager ist das dann schon bemerkenswerter. Und das wundert dann auch so manchen Bora-Wettbewerber immer wieder. „Der hat keine Fachhandelspartner, der hat Follower, Jünger“, sagt einer. Die letzten Kilometer stehen an. Ist Bora groß genug, um im Küchenmarkt zu bestehen? Bruckbauer sagt, er habe sich die Frage auch gestellt – und vor einiger Zeit mit Nein beantwortet. Dann hat er drei Leitlinien definiert, die er so ziemlich jedem seiner 500 Mitarbeiter persönlich hinter die Ohren geschrieben hat. Man müsse von den großen Tech-Companies lernen. Die Bora-Kernwerte dürften nie vergessen werden, man müsse also mutig, frech und innovativ bleiben. Und Bora müsse immer so beweglich bleiben wie ein Start-up. Wenn man eine neue Idee habe, müsse man auch in ein paar Tagen einen neuen Prototypen bauen können, um zu sehen, ob die Idee funktioniert. So hatte der gelernte Schreiner Bruckbauer das selbst ganz am Anfang ja auch gemacht – und sein Luftkanalsystem zusammengedemmelt und -geschraubt, das unter ein Kochfeld passt und aus dem am Ende ein neuer Markt entstanden ist. Der Markt der Muldenlüfter.
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