Hettich / Baumann

Vom richtigen Zeitpunkt

05. Oktober 2021, 8:38
Delf Baumann, Dr. Andreas Hettich

Der eine war 50, der andere 60. Der eine lotste den größten deutschen Möbelbeschlaghersteller über die Milliarde und trieb die Internationalisierung voran, der andere steuerte einen der großen deutschen Küchenhersteller 25 Jahre lang durch einen sich rasant verändernden Markt: Dr. Andreas Hettich und Delf Baumann haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Es ist noch nicht lange her, dass beide Unternehmer den Sprung gewagt haben – raus aus dem operativen Geschäft. Vernetzt man die beiden und trifft sie gemeinsam, um über den richtigen Zeitpunkt, über die jeweils eigenen Beweggründe und ihr neues Leben zu sprechen, stellt sich schnell heraus: Es gibt deutlich mehr Gemeinsamkeiten als nur den Mut zur Übergabe. Die beiden INSIDE-Redakteure Eva Ernst und Simon Feldmer haben für dieses etwas andere INSIDE-Interview Dr. Andreas Hettich und Delf Baumann Anfang September in der Hettich-Zentrale in Kirchlengern getroffen.

INSIDE: Herr Dr. Hettich, Herr Baumann, es gibt einen Anlass aus dem wir sie um ein gemeinsames Interview gebeten haben: Sie beide haben die Geschäftsführung Ihrer Unternehmen früher als man erwarten könnte anderen überlassen. Herr Dr. Hettich, Sie haben die operative Führung der Hettich-Gruppe mit 50 Jahre übergeben, Herr Baumann, Sie im 60. Lebensjahr. Was hat den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben, die in der Branche jeweils durchaus für Furore gesorgt hat?

Dr. Andreas Hettich: Verschiedene Elemente. Vielleicht auch meine eigene Biografie – ich bin nicht der geborene Möbelbeschlag-Unternehmer, sondern habe Elektrotechnik studiert und im Bereich Mobilfunk promoviert. Meine Karriere im Familienunternehmen war ursprünglich nicht vorgesehen. Zum einen bin ich das jüngste Kind von vieren. Und zum anderen gab es bereits eine externe Geschäftsführung, als ich in der Berufsausbildung war. Ich bin nicht direkt reingekommen, vielleicht fiel es mir deswegen leichter, wieder raus zu gehen.

Das ist ein sehr persönlicher Blick. Es gab sicher weitere Gründe?

A.H.: Das Thema Generationswechsel braucht Zeit und Konzentration. Wir haben uns früh im Gesellschafterkreis zusammengesetzt und überlegt, wie das Unternehmen in Zukunft aussehen soll. Wir sind heute zu sechst, mein Bruder und ich und vier Cousins und Cousinen. Zusammen haben wir zwölf Kinder. Dass jemand von zwölf Personen willens und fähig ist, ein Unternehmen mit mehr als einer Milliarde Umsatz zu führen, ist rein statistisch unwahrscheinlich. Darauf sollte man sich zumindest nicht verlassen.

Bei zwölf Kindern ist die Wahrscheinlichkeit doch recht hoch, möchte man meinen.

A.H.: Die Fähigkeiten eines Geschäftsführers aus der Familie müssen mindestens dieselben sein wie von jemandem, den man von außen holt. Für die operative Führung eines Unternehmens dieser Größe braucht es viele verschiedene Fähigkeiten. Hettich im Namen zu führen, gehört hier jedenfalls nicht zwingend dazu. Wir wollen ein Unternehmen in Familienhand bleiben, es muss aber nicht operativ von der Familie geführt werden. Darum haben wir beschlossen, das Unternehmen so aufzustellen, dass es auch ohne jemanden aus der Familie funktioniert.

Am Ende wurde eine Art Selbstversuch daraus: Wir haben nicht bis zum nächsten Generationenwechsel gewartet, sondern es gleich ausprobiert. Wenn ich mich zu etwas entschließe, dann will ich das nicht mehr ewig rausschieben.

Dass Sie just mit 50 Jahren übergeben haben, war also mehr Zufall?

A.H.: Ja, das hatte mit meinem Alter eigentlich nicht viel zu tun. Wir hätten uns dazu im Beirat auch zu einem anderen Zeitpunkt entschließen können. Aber es kam eben so. Mit reingespielt hat schon eher, dass wir alle Kinder haben, die teilweise schon ihr Studium hinter sich haben, oder eben gerade studieren, zumindest langsam aber sicher auf ihr aktives Berufsleben zusteuern. Wir wollten die Weichen vorher gestellt haben.

Wie lange hat es gedauert bis zur tatsächlichen Umsetzung?

A.H.: Das ging relativ flott, etwa ein Jahr. Wir waren damals eine Dreier-Geschäftsführung. Die Überzeugung, dass die beiden anderen es auch alleine können, hat es mir leicht gemacht. Das Schwierigste auf diesem Weg war, es meinem Vater zu erklären. Für ihn war es nicht direkt nachvollziehbar.

Es ist ja auch ungewöhnlich. Und als Test haben Sie es unseres Wissens auch nicht kommuniziert.

A.H.: Nein, es ist auch nicht als Test angelegt, aber mit 53 Jahren könnte man eher nochmal zurückkehren als mit 73.

Herr Baumann, was hat bei Ihnen den Ausschlag gegeben? Oder war der Schritt lange vorbereitet?

Delf Baumann: Ich habe lange gewusst, dass ich im Jahr 2020 für mich eine Entscheidung treffen möchte, dass ich dann wissen will, was mit dem Unternehmen passiert. Bleibt es in Familienhand oder verkauft man es. Ich wollte das im letzten Jahr für mich entscheiden, weil ich in diesem Jahr 60 geworden bin und mit 60 einen Plan haben wollte, wie es weitergeht. Ich wollte auf gar keinen Fall ein Unternehmer werden, der plötzlich nur noch geduldet wird von Mitarbeitern, die viel schneller und viel besser sind.

Einen Verkauf hatten Sie auch im Kopf?

D.B.: Ich überdenke immer alle Optionen. Aber natürlich sind mit dem Unternehmen viele Emotionen und Verantwortung verbunden. Man verkauft es nicht wie ein altes Auto. Außerdem fragt man sich: Was machst du dann mit dem Geld? Irgendetwas kaufen oder etwas Wohltätiges? Man kann im eigenen Unternehmen viel Gutes machen. Als Unternehmer habe ich unmittelbaren Einfluss auf 1.200 Mitarbeiter und ihre Familien. Auch da lässt sich eine Menge Gutes bewirken.

Sie haben die Geschäftsführung in den letzten Jahren ja schon neu strukturiert.

D.B.: Wir haben in den letzten Jahren die erste, zweite und dritte Führungsebene umgebaut und ich habe mit großer Freude erlebt, wie sich das eingespielt hat. Plötzlich läuft das ganze Ding hervorragend, ob ich da bin oder nicht. Dazu kamen noch gesundheitliche Probleme und ich habe beschlossen, es durchzuziehen. Als ich dann im März zum Notar gegangen bin und mich selbst aus der Geschäftsführung ausgetragen habe, war das aber schon sehr eigenartig. Doch die Idee, mit 60 die Geschäftsführung abzugeben, die habe ich in den letzten fünf Jahren schon in Richtung meiner Geschäftsführung kommuniziert.

Nochmal zurück zur Ausgangsfrage, was den Ausschlag für Ihre Entscheidung gegeben hat. Sie haben jetzt beide eher Gründe genannt, die dem Unternehmen dienten. Gab es auch private Gründe?

D.B.: Klar, neben dem Unternehmertum hat das Leben viele tolle Dinge zu bieten. Und ich lebe privat in Karlsruhe, 500 Kilometer von Löhne entfernt. Nach 25 Jahren hatte ich schon auch etwas die Nase voll davon, jeden Montagmorgen um drei oder vier Uhr auf der Autobahn zu sein. Also ganz klar: Auch der private Ressourcenhaushalt spielte eine Rolle.

A.H.: Bei mir war das eher untergeordnet. Ich hatte aber auch den Luxus, vorher schon ganz gut balancieren zu können. Die Wochenenden waren frei, und wir haben Reisen immer verknüpft. Meine Frau war in vielen Ländern schon dabei, die Kinder teilweise auch schon. Eine der letzten Reisen vor Corona ging nach Indien, wo wir ein Joint-Venture haben, zu einer riesigen indischen Hochzeit. Das war ein Wahnsinnserlebnis.

Gelingt es Ihnen denn auch beiden, die Entscheidung im Tagtäglichen so durchzuziehen? Können Sie sich wirklich raushalten?

A.H.: Über die letzten Jahre bin ich in den einen oder anderen Beirat oder Aufsichtsrat eingetreten. Da habe ich schon mal gedacht: Vielleicht bin ich auch ein besserer Beirat als ein Geschäftsführer. Ich habe viele Ideen, denke gerne strategisch, bin ein guter Sparringspartner in Diskussionen, denke ich. Im Operativen gibt es aber Dinge, die andere besser können. Das habe ich mir auch früh eingestanden. Und deshalb habe ich in der Vergangenheit nach und nach immer mehr Aufgaben abgegeben und in der Regel festgestellt, dass sie bei anderen auch oft besser aufgehoben waren als bei mir. Nicht mehr ins Büro zu kommen – ich habe auch gar kein Büro mehr hier – wurde durch Corona dann natürlich nochmal verstärkt. Das fiel zeitlich etwa zusammen. Auch wenn der erste Lockdown mich sehr schnell auch wieder sehr gefordert hat. Da war ich sehr eingebunden. Das war ein Schock, keiner wusste damals, was kommt. Da konnte ich nicht zuhause sitzen und Tee trinken.

Wie ist das bei Ihnen Herr Baumann? Gelingt es Ihnen, die Entscheidung durchzuziehen?

D.B.: Das Durchziehen ist kein Problem. Probleme habe ich eher im Kopf, weil der Mechanismus bleibt: morgens wach werden, nachts wach werden, To-Do-Listen durchgehen. Dann bremse ich mich ganz bewusst aus.

Wie arbeiten Sie jetzt?

D.B.: Das Tagesgeschäft überlasse ich anderen. Ich habe mehr Zeit, mir Zahlen und Daten genauer anzuschauen. Mathematische Dinge haben mir immer Freude gemacht. Und ich habe jetzt nicht mehr den Anspruch, morgens um sieben der Erste im Büro zu sein.

Was machen Sie, wenn Sie in der Firma sind?

D.B.: Wenn ich in Löhne oder in Burg bin, dann mache ich keine Schreibtischarbeit. Für die muss ich nicht die Fahrt auf mich nehmen. Wenn ich dort bin, nutze ich die Zeit für persönliche Gespräche. Es sind mehr Gespräche als früher. Früher habe ich Gespräche mit der ersten oder zweiten Führungsebene geführt. Als Unternehmer habe ich neben den rein fachlichen Aufgaben auch soziale Aufgaben, die ich in der Vergangenheit zu wenig wahrgenommen habe. Ich hätte mir viel öfter Zeit nehmen sollen für Leute, mit denen ich auf der Fachebene nichts zu tun habe. Ich bin immer schon morgens als erstes eine Stunde durch den Betrieb gegangen. Aber dass ich mal jemanden zu mir auf einen Kaffee eingeladen habe, das war zu selten.

Sie beide gehen weiteren unternehmerischen Tätigkeiten nach. Welche sind das?

A.H.: Das eine ist Ewikon, eine Firma für Heißkanaltechnik, die mal aus Hettich heraus entstanden ist. Wir haben uns inzwischen mit 350 Mitarbeitern zum deutschen Marktführer und zum weltweiten Technologieführer entwickelt. Halemeier Leuchten gehört auch dazu. Und dann sind es eher Fonds-Investitionen. An zwei Start-ups bin ich direkt beteiligt. Eines macht 3D-Visualisierungen für die Immobilienbranche und eines beschäftigt sich mit Batteriemanagement. Sie sind die einzigen, die tatsächlich den Ladezustand von Batterien messen können. Sie haben sich auf Großspeicher spezialisiert, ein wichtiges Thema für die Energiewende. Aus unternehmerischer Sicht eine Katastrophe: Seit sieben Jahren kein Umsatz. Aber ein wichtiges Thema.

Herr Baumann, über ein ähnliches Thema haben wir kürzlich für einen weiteren Bericht im INSIDE Spezial gesprochen. (s.S. XY in diesem INSIDE Spezial Küche)

D.B.: Ich war erst am Dienstag bei genau solch einer Firma in Jena, die eine ganz neue Batterietechnologie entwickelt hat. In Größenordnungen, die wir gegebenenfalls auch als Unternehmen nutzen können. Das ist etwas, womit ich mich jetzt sehr intensiv beschäftige. Zertifikate kaufen, das haben wir alles gemacht. Doch jetzt muss man neue Technologien unterstützen und auch mal bereit sein, ein paar Euro zu riskieren. Neue Technologie funktionieren nicht immer gleich wirtschaftlich. Das ist ein Thema, das mich jetzt kolossal reizt.

Sehen Sie sich beide nun möglicherweise auch mehr als Investoren oder ist das gar nicht der Plan?

D.B.: Ich habe großes Interesse an genau solchen Dingen. Es gibt in Deutschland eine ganz spannende Szene junger Unternehmen, die sich mit neuer Technologie und mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Die Möglichkeit, diese zu unterstützen, will ich auch nutzen. Man kann investieren, weil man aus dem investierten Geld mehr machen will. Aber wenn ich Geld habe, kann ich es auch einfach um der Technologie Willen investieren. Nicht jeder Versuch wird gleich von einem wirtschaftlichen Erfolg gekrönt sein, aber es macht mich nicht arm und ich habe etwas vorangetrieben.

A.H.: Bei dem Wort Investor zucke ich immer ein bisschen, weil darunter häufig verstanden wird, dass jemand aus Geld mehr Geld machen will. Bei mir ist es auch so: Ich brauche nicht noch mehr Geld, aber mit meinem Geld etwas anzutreiben und zu verbessern, finde ich schon spannend. Als Privatinvestor bin ich am European Circular Bioeconomy Fund beteiligt. Dieser Fonds investiert in Dinge, die mir vorher gar nicht bewusst waren. Da gibt es zum Beispiel ein Unternehmen, das sich um die Verwertung von Orangenschalen kümmern. Es war mir vorher gar nicht bewusst, dass Orangenschalen ein Problem sind. Sie verrotten nicht, Orangenschalen sind wie Sondermüll. Wir waren bei European Circular Bioeconomy Fund sehr früh dabei, mittlerweile sind hier auch richtig große Player eingestiegen. Wir sind oft und gerne die ersten. So etwas macht mir Spaß – und stiftet Sinn.

Auch wenn es nicht das Ziel ist, Geld zu verdienen – kann man Geld verdienen mit solchen Aktivitäten?

D.B: Ja, kann man. Das beste Beispiel ist die Firma BioNTech.

A.H.: Mir hat einmal jemand erklärt, man müsse in mindestens zehn Unternehmen investieren. In der Regel werde nur jedes zehnte wirklich erfolgreich. Unter zehn Investments ist dann hoffentlich eine Rakete, vier bis fünf entwickeln sich gut, der Rest geht wieder pleite. Aber natürlich kann man so Geld verdienen. Doch wenn man ganz sicher welches verdienen wollte, würde man wohl einen anderen Weg gehen.

D.B: Mich treibt dieses Thema um. Es ist toll! Dafür kann ich auch meine Kinder mehr begeistern als wenn ich in Aktien investiere und ihnen die Kursentwicklung zeige. Ideen fördern und mithelfen, sie anzuschieben, die wirklich die Welt verändern können. Die Produkte nachhaltiger machen, die zu einer klimaneutralen Energiegewinnung beitragen. Das sind Themen, die mich richtig pushen. Da will ich mehr machen.

Können Sie Ihre Kinder auch für die Baumann Group begeistern?

Meine Tochter wird jetzt 23, mein Sohn 20. Begeistert sind die beide, aber Ihre Frage zielte wahrscheinlich darauf ab, ob sie das Unternehmen mal weiterführen möchten. Meine Tochter kann es sich vorstellen, auch wenn es nicht ihr Ziel ist. Sie studiert Wirtschaftsingenieurwesen und arbeitet seit einigen Jahren bei uns auf der Messe. Sie findet die ganze Atmosphäre toll und auch die unternehmerischen Möglichkeiten. Auch die Komplexität der Aufgabenstellungen begeistert sie. Ob sie mal einsteigen wird, weiß ich nicht. Ich rechne meinem Vater hoch an, dass er nie versucht hat, meinen Bruder und mich in irgendeine Richtung zu drängen. Noch zu seiner Zeit wurde überhaupt nicht diskutiert, es war völlig klar, dass er und seine Geschwister in die Firma gehen.

Waren Sie auch so frei in Ihrer Entscheidung, Herr Dr. Hettich?

A.H.: Ja, aber ich bin ja auch das jüngste Kind. Als es damals um den Rückkauf der Firma ging und klar war, dass einer von uns in das Unternehmen eintreten müsste, damit es sinnvoll ist, wurde auch erstmal mein Bruder gefragt. Der wollte aber aus verschiedensten Gründen nicht, obwohl er von seiner Ausbildung her näher dran war. Bei mir war es eher umgekehrt. Mit einer Promotion in Mobilfunk landet man am Ende in einem Konzern, das wollte ich nicht. Im eigenen Unternehmen selbst entscheiden zu dürfen hörte sich besser an.

Wir halten es auch mit unseren Kindern so: Sie sollen machen, wonach ihnen ist. Es gibt keinen Druck Richtung Firma. Die Strukturen im Unternehmen sind bestens organisiert.

Und wieso sind Sie im Familienunternehmen gelandet, Herr Baumann?

D.B.: Als ich mein Abitur hatte, wollte ich mit Küchen nichts zu tun haben. Ich habe mich für Wirtschaftsingenieurwesen entschieden, im Studium angefangen für eine Unternehmensberatung zu jobben. Ich wurde übernommen, bin zu einer anderen Beratung gewechselt, habe Geld verdient und das Thema Küche war weit weg. Nachdem ich das aber einige Jahre gemacht habe, habe ich mich gefragt, ob ich das wirklich ewig machen will. Einen Haufen Geld verdienen, aber wenig Verantwortung tragen. Und da habe ich mich wieder erinnert, dass es zu Hause diese Firma gibt. Ich bin zum damaligen Vertriebsgeschäftsführer Siegfried Westerholz gegangen und habe ihn gefragt, wie er die Sache sieht. Er sagte gleich, ja, logisch, wir sind im Mittelstand. Da muss einer mit dem Namen Baumann ran.

Wie lange waren Sie dann jetzt operativ in der eigenen Firma tätig?

D.B.: Ich habe 1996 angefangen, also genau 25 Jahre.

Und Sie, Herr Dr. Hettich?

A.H.: 20 Jahre.

D.B: Als ich mich damals für das eigene Unternehmen entschieden habe, wusste ich natürlich überhaupt nicht, was auf mich zukommt. Es fängt schon damit an, dass jeder weiß, du bist aus der Familie. Da ist man in einer ganz anderen Situation als als externer Berater. Der „Sohn von“ zu sein, damit muss man sich erst einmal zurechtfinden. Es kann einem zu Kopf steigen, es kann einen aber auch sehr klein machen. Die Mitte dazwischen zu finden, ist mir schwergefallen.

Ihre beiden Firmen sind in den letzten Jahren stark gewachsen. Verändert man sich da selbst auch als Person? Bei Ihnen ist es über eine Milliarde, Herr Dr. Hettich. Wie geht es einem damit, wenn man eine Zeit begleitet hat, in der das Familienunternehmen so eine Schwelle überschritten hat?

A.H.: Das sind Dimensionen, die ich nicht greifen konnte, als ich anfing und bis heute nicht greifen kann. Am Ende kann man nur das werten, was man mit Menschen erlebt. Da war für mich und auch das Unternehmen die größte Veränderung die Internationalität. Begegnungen auf außereuropäischen Reisen haben mich am meisten geprägt. Ich fahre in jedes Land gerne. In jedes, so unterschiedlich sie sind.

Wie hat Sie Ihr unternehmerisches Tun und Wachsen verändert, Herr Baumann?

D.B:. Sie würden von meiner Umwelt vielleicht präzisere Antworten kriegen. Wenn man in dieser Position ist, hat man Macht und die macht etwas mit den Menschen, ob man das will oder nicht. Für mich war mal ein Erlebnis zu Hause, als ich versuchte eine unendliche Diskussion mit den Worten zu beenden: „Feierabend, wir machen das jetzt so.“ Da schaute mich meine damals zehnjährige Tochter an und sagte: „Papa, hier bist du nicht der Chef.“

A.H.: So ein Erlebnis hatte ich auch. Das gehört, glaube ich dazu.

D.B.: Wenn man Familienmitglieder hat, die ganz anders ticken, holen die einen oft mal wieder runter und machen einem klar, dass nicht alles Struktur haben muss.

Gab es Vorbilder oder Mentoren auf Ihrem Weg?

D.B.: Hatte ich nicht, aber ich habe mein Berufsleben lang immer mit professionellen Coaches gearbeitet und sehr intensiv mit meiner Familie diskutiert, auch als die Kinder noch klein waren. Das hat mir immer geholfen, meine betriebswirtschaftliche stringente Unternehmerperspektive mal wieder auch auf das richtige Leben zu lenken.

 

A.H.: Ich finde das schwierig zu beantworten. Mein Vater war natürlich ein Vorbild, und er hat eine unfassbare unternehmerische Leistung gebracht, die mich sehr stark geprägt hat. Doch jede Zeit ist anders. Mein Vater war schon ein Patriarch. Entscheidungen traf er selbst. Alles lief über seinen Schreibtisch. Ich bin da anders. Ich habe Hettich auch anders geführt. Ich kann gut mit Entscheidungen anderer Menschen leben, denen ich vertraue. Das war mir immer wichtig.

Wenn Sie eine Entscheidung treffen müssen, die Sie vielleicht nicht alleine fällen wollen, wen fragen Sie?

A.H.: In der Regel diejenigen, die was dazu beitragen können. In der Regel nicht die eine Person. Wenn es um menschliche Entscheidungen geht, ist mir meine Frau eine wichtige Ansprechpartnerin.

Beschreiben Sie doch mal, wie jetzt Ihr Alltag aussieht. Stehen Sie später auf? Nehmen Sie sich mehr Zeit? Machen Sie mehr Sport?

D.B.: Alles. Wenn ich früher in Löhne oder in Burg war, war ich morgens um sieben der erste in der Firma, zumindest im Verwaltungsbereich. Vorher hatte ich schon eine Stunde Sport gemacht. Heute klingelt kein Wecker mehr um halb sechs, auch wenn ich nach wie vor um die gleiche Uhrzeit wach werde. Wenn etwas Interessantes in der Zeitung steht, lese ich in Ruhe zu Ende. Wenn ich dann erst um halb neun in meinem Büro bin, ist das auch in Ordnung. Ich habe auch nicht den Ehrgeiz, jeden Tag im Büro zu sitzen. Ich kann auch eine Menge gedanklich entwickeln, wenn ich durch den Pfälzer Wald marschiere.

Herr Dr. Hettich, was wollen oder müssen Sie aus Ihrer Firma noch wissen, um gut schlafen zu können?

A.H.: Meine Standardantwort auf diese Frage ist: „Wenn ihr meint, ich müsste das wissen, dann müsst ihr es mir sagen.“ Für manche Menschen ist das eine Erleichterung, Dinge zu erzählen, die sie umtreiben in der Firma. Dann höre ich auch sehr gerne zu. Für mich selbst brauche es nicht unbedingt zu wissen. Grundsätzlich kann ich es vielleicht so sagen: Dinge, die gelaufen sind, interessieren mich nicht so sehr. Ich bin mehr an der Zukunft interessiert. Wenn in der Vergangenheit etwas falsch gelaufen ist, kann ich auch nichts machen. Vor dem Brand in unserer Galvanik habe ich immer gesagt: „Wenn es brennt, ruft nicht mich an, sondern die Feuerwehr.“ Gleichwohl war ich in die ersten Gespräche nach dem Brand auch persönlich eingebunden. Wir haben in diesem Jahr wirklich alles mitgenommen. Das war schon hart. Aber ich habe mich dann auch schnell wieder ausgeklinkt. Das Krisenmanagement hat unsere Führung dann auch ohne mich sehr gut hinbekommen.

Sie halten Sich wirklich auch bei solchen Themen größtmöglich raus?

Ja. Wenn es größere Probleme mit Kunden gibt, möchte ich natürlich vorgewarnt sein. Wenn ich den Kunden sonst am Telefon habe und von gar nichts weiß, sieht es sonst doof aus. Manchmal ist es aber auch ganz gut, gar nicht so viel zu wissen.

Was macht aus Ihrer Sicht gute, zeitgemäße Führung aus?

D.B.: Führen setzt voraus, dass man weiß, wo man hinwill und wie man dorthin kommt. Im klassischen kleineren Mittelstand war es so: Der Inhaber hat beides gesagt. Natürlich muss man als Inhaber sagen, wohin man will. Aber wie man dahin kommt, das habe ich nie gesagt. Dafür gibt es Fachleute. Meine Aufgabe begreife ich eher als Moderator. Führen heißt nicht, dem Einkäufer oder dem technischen Leiter zu sagen, was sie zu machen haben. Wenn ich es selbst könnte, bräuchte ich die beiden nicht. Führung ist für mich heute, zu sagen welcher Leitgedanke dem Unternehmen innewohnt.

Für eine solche Sicht braucht es viel Vertrauen. Was machen Sie, wenn ein Mitarbeiter seinen Aufgaben nicht richtig nachkommt?

D.B: Man fragt nach den Gründen. Hat er es aus Versehen gemacht, hat er es absichtlich gemacht? Wenn ich merke, er hat sich vertan, muss er das nächste Mal besser aufpassen. Wenn er sich ständig vertut, ist er nicht in der richtigen Position, dann muss ich jemand anderen suchen. Wenn ich merke, jemand hintergeht mich, ist es eine sehr schnelle Entscheidung. Das Vertrauen in die Fachkompetenz der Leute habe ich, sonst wären sie ja nicht an der Position.

Wie hat sich Führung aus Ihrer Sicht verändert, Herr Dr. Hettich?

A.H.: Hierarchie kommt eigentlich aus dem Militärischen und hat Informationsfunktion. Mit der Digitalisierung brauche ich diese Funktion nicht mehr. Das haben aber viele Führungskräfte noch nicht verstanden. Ich brauche keine Führungskräfte, um Informationen zu verteilen. Heute können Fachexperten das Problem untereinander besprechen. Das ist nicht mehr die Aufgabe von Führung heute.

Was ist denn die Aufgabe? Nach welchen Kriterien stellen Sie Ihre Führungskräfte ein?

A.H.: Im Beirat haben wir sicher allein rund 50 Geschäftsführer-Entscheidungen zu treffen in der Gruppe. Wenn uns jemand sagt, dass er den Markt aus dem EffEff kennt, weil er den seit 20 Jahren beackert und deshalb meint, geeignet zu sein für eine Aufgabe in unserer Gruppe, dann suchen wir uns lieber einen anderen. Wir entscheiden heute nach anderen Kriterien: Persönlichkeit, Lernfähigkeit, Reflexionsfähigkeit. Das sind Fähigkeiten, die man in einer so komplexen und sich schnell verändernden Welt in Führungsaufgaben braucht. Für uns ist wichtiger, dass jemand in der Lage ist zu lernen, die Ideen von anderen Menschen aufzunehmen und zu reflektieren, selbst neue Ideen zu haben. Und man muss ein guter Teamplayer sein.

Sind Sie heute glücklicher als zu den Zeiten, als Sie operativ an der Front standen?

D.B.: Die Situation heute ist noch ungewohnt, aber ich kann und werde mich da reinfinden. Glücklich war ich davor auch. Nur ich lebe jetzt ein anderes Leben. Und das gefällt mir immer besser.

A.H.: Ich muss das auch verneinen. Grundsätzlich kann ich aber schon sagen, dass mir die Rolle als Beirat sehr liegt. Ich fülle meine Aufgaben sehr gerne so aus, wie ich das heute tue. Und ja, das macht mich schon glücklich, dass ich das so tun kann. Auch wenn ich natürlich das Reisen vermisse. Aber das kommt ja wieder.

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